das geheimnis der P.o. oder der moderne prometheus 4.0
eine absonderliche ostergeschichte
Genre: Krimi / Komödie / Kammerspiel / Kneipenkrimödie
Eine absonderliche Ostergeschichte.
Keine Kneipenkrimödie.
Trotzdem Max Hellers erster Fall.
Dritter Band der „Grotte-Trilogie“
Worum geht’s?
Um die endgültige Gottwerdung des Menschen.
Karfreitag, 2. April 2010.
Der notorische Kneipengänger, Pleitier und Blindgänger
Max Heller sitzt, wie an jedem Abend, in seiner Stammkneipe
der „Grotte“.
Ihm droht ein verdammt trockenes Osterfest: Er kann
seine offenen „Zettel“ nicht bezahlen.
Auch sonst steckt er voll in der „Scheiße“.
Bis sich Louise von Heidelberg zu ihm setzt, ihn als
Detektiv anheuert und überredet, die Osterrose P.O. zu finden.
Was er nicht ahnt: Hinter dem scheinbar unverfänglichen
Auftrag lauert die Zukunft. In all ihrer
apokalyptischen Monstrosität …
-
1 Heller. Grotte.
Als Max Heller am Karfreitag, dem 02. April 2010, seine Stammkneipe die „Grotte“ betrat, rief er, als müsse er den Wirt erst wecken, in den Schankraum: „Hürdi! Bierdurst!“, und setzte sich auf einen der bequemeren Stühle im vorderen Gastraum direkt am Fenster mit Blick zur Senefelderstraße.
An den Tresen neben die Tür zum Männerklo wollte er sich nicht setzen, weil die Barhocker keine Lehnen haben, und ihm sein Rücken zu schaffen machte.
Überhaupt ging es ihm nicht gut. Was nicht nur an den Rückenschmerzen lag.
Er hatte noch ganz andere Probleme.
Ein fieses Dreigestirn von Problemgeistern trieb seit einigen Tagen sein Unwesen in Hellers Dasein.
Als wenn Rücken nicht reicht! fluchte er leise.
Zum Glück war er ein erfahrener Trinker und wusste, ein paar Biere würden zwar die Geister nicht wirklich vertreiben, aber für die Zeit des Rausches besänftigen. Immerhin.
Wenn er genug picheln würde, schwänden die quälenden Verspannungen des Lebens und lösten sich in schemenhafte Irrlichter auf, als gehörten sie in eine fremde Bewusstseins-Galaxie.
Jedenfalls für diesen Abend.
Und um nichts anderes ging es ja wohl im Leben: Eine Schlacht gewinnen. Kriegsausgang uninteressant.
Also: Sorgen betäuben! Prost!
Als nach zwei Minuten noch kein Bier vor ihm stand, rief er erneut nach dem Wirt: „Hürdi! Musst du den Hopfen erst auswringen, oder was?“
Die Antwort machte ihn stutzig.
Wobei, die Antwort selbst war es nicht, die ihn stutzen ließ. Inhaltlich kam sie wie erwartet rüber: „Kommt gleich.“
Es war vielmehr die Stimme hinter den Worten. Sie stammte eindeutig nicht von Hürdi, sondern von Ulla.
Ulla wiederum gehörte ganz und gar nicht zu Hürdi, sondern zu Latte, dem anderen Wirt der „Grotte“, der erst gegen 21:00 Uhr erwartet wurde.
So hatte es Heller jedenfalls in Erinnerung.
Ab da wollten die beiden, also Hürdi und Latte, gemeinsam Ostern „rocken“ hinterm Tresen, was sonst so gut wie nie vorkam, aber wegen der vielen Gäste, mit denen sie rechneten,
und die ein Wirt allein nicht im Griff haben würde, dringlichst angeraten war.
Wie dem auch sei … dachte Heller … die Grotte-Wirte und ihre Dienstpläne! Da sieht eh kein Mensch durch … Hauptsache, ich bekomme mein Bier … aber Ulla? Ist schon komisch.
Ulla kam mit dem Bier. Sie wirkte wenig entspannt. Ihr „bitte schön“, als sie das Glas vor Heller ablud, klang eher nach „Geh mir nicht auf den Docht und verdrück dich am besten in ´ne andere Kneipe!“, was Heller zwar allzu gerne ignoriert hätte, aber, neugierig, wie er war, zu der Frage drängte: „Warum denn ausgerechnet …“
Er kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu formulieren. Ulla fuhr ihm dazwischen:
„Die Herren ‚Volkswirte‘ sind ‚verhindert‘. Beide! Wir tippen auf Salmonellenvergiftung! Frag mich bloß nicht!“
Klar frug Heller, weil er wusste, dass Frauen, wenn sie sagen „Frag mich bloß nicht!“, natürlich gefragt werden wollen. Nicht umsonst behauptete er von sich, einer der letzten vom Aussterben bedrohten Frauenversteher zu sein, was epigenetisch programmiert sei bei ihm, und dass es überfällig an der Zeit wäre, ihn unter Artenschutz zu stellen.
Vor allem frug er aber, weil er, wie bereits erwähnt, neugierig war: „Salmonellenvergiftung? Wie konnte das denn passieren?“
Ulla setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber: „Die haben Eier ausgeblasen. Im Duett.“
„Wegen Ostern?“, frug Heller weiter.
„Wegen Ostern?“, zischte Ulla. „Wohl eher wegen ‚Grotte‘! Die wollten Nachschub für die Kneipe produzieren. ‚Eierlikör von den perlmuttfarbenen, ferderfüßigen, fuchsreißenden Zwerghühnern‘, wie sie es nennen. Soll ein Hit sein.“
„Kann ich bestätigen. Prost!“ Heller nahm einen kräftigen Schluck von seinem Frischgezapften und wischte sich die Mundwinkel trocken. „Ist etwa keiner mehr da?
Ich bin süchtig nach dem Zeug.“
„Doch“, beruhigte ihn Ulla. „Drei Flaschen.“
Dann brauste sie wieder auf: „Das ist es ja. Mir will nicht in den Kopf, warum die Deppen in drei Teufels Namen auf Gedeih und Verderb für Nachschub sorgen mussten und vor allem, warum ihnen die Eier von den Zwerghühnern nicht genügt haben. Sie mussten den Likör unbedingt noch mit Eiern vom Supermarkt strecken. Dabei hätten drei volle Flaschen doch wohl für die paar Ostertage gereicht und sie hätten sich keine Salmonellen eingefangen!
Aber das haben sie nun davon: Latte kommt gar nicht mehr vom Topf runter. Hürdi auch nicht.
Die scheißen im Akkord! Entschuldige, ist aber wirklich so. Ich könnte mich totlachen, wenn jetzt nicht Christel und ich einspringen müssten. Wahrscheinlich ist für uns Ostern komplett gelaufen. Schönen Dank auch!“Wenn Heller momentan nicht selber von einer unüberschaubaren Schar von Problemgeistern so fürchterlich geplagt gewesen wäre, hätte er vielleicht pompöse Anteilnahme simuliert.
Dazu reichte seine Kraft jedoch nicht und so kam gar nichts von ihm. Er zuckte unmerklich mit den Schultern, prostete Ulla zu und die Sache war für ihn erledigt.
Ulla kannte Heller zu gut, als dass sie mit einer empfindsamen Reaktion rechnete.
Sie stand auf, drehte sich um und verschwand.*
Wer von den Leserinnen und Lesern – und denen, die sich geschlechtlich für irgendwas dazwischen entschieden haben – die „Grotte“ kennt, weiß, dass diese eher einem Trödelladen, als einer Kneipe, geschweige denn einem Café oder gar einer Rumbar, wie die Wirte sie gerne titulieren, gleicht, und dass ein vorlauter Darts-Automat, „Darti“ genannt, gerne mit einem lauten Trötelöterötötö auf sich aufmerksam macht, ein kleiner blecherner Kamin, „Öfi“,
in kühlen Zeiten immerhin im Schank-, wenn auch nicht im Gastraum, in welchem der Autor M. H. für gewöhnlich mit klammen Fingern die Tastatur seines Laptops malträtiert, wohlige Wärme verbreitet, eine rückwärts laufende Uhr, nennen wir sie „rhU“, Verwirrung unter fremden Zeitdieben stiftet und eine veraltete Musikanlage aus abgewickelten DDR-Zeiten, „SK 3000“ von RFT, musikalische Kommentare von sich gibt, wenn die Wirte Latte oder Hürdi, oder in seltensten Fällen auch beide zusammen, den Laden schmissen.
An einem Abend wie diesem, in Abwesenheit der Wirte, schien die „Grotte“ zu schlafen:
Der Zeiger von „rhU“ war auf Halbsechs hängengeblieben und zuckte scheintot vor sich hin, ohne sich von der Stelle zu bewegen.
„Darti“ schien ein vergifteter Darts-Pfeil getroffen und ausgetrötet zu haben.
„Öfi“ glich einem Kühlschrank.
Und „SK 3000“ war wahrscheinlich der Tonabnehmer stiften gegangen.
Bis Ulla …*
… bis Ulla der „Grotte“ Leben einzuhauchen begann.
Nach einem gebührenden „Was-Solls-Dann-Wollen-Wir-Mal-Stoßseufzer“ tänzelte sie leichtfüßig wie Judy Garland im „Zauberer von Oz“, als diese sich mit Scheuch, dem Eisernen Holzfäller und dem Feigen Löwen auf den Weg zur Smaragdenstadt macht, im Rhythmus einer imaginären Melodie zu Öfi, fütterte ihn mit schmalen Pappkarton-Streifen, etwas Reisig, Kien, dünnen Holzscheiten, größeren Holzscheiten und: Feuer frei!, hauchte sie dem Kerl neues Leben ein.
Dann schwebte sie weiter zu rhU, schob die Zeiger spiegelverkehrt auf 18:13 Uhr, gab ihr einen milden Stubbs und: Die „Grotte“ hatte wieder Puls.
Der wurde noch intensiver, als sie Dartis Stecker in die Dose steckte, dieser sich in eine Art verhinderte Lichtorgel verwandelte und mit einem anfänglich stotternden Trötelöterötötö erwachte, das dem hungrigen Brüllen eines Bären nach dem Winterschlaf glich, obwohl doch nur ein halber Tag zwischen dem letzten „Aus“ und dem jetzigen „An“ lag.
Irgendwie gleicht „Darti“ einer altgewordenen Straßennutte, die ständig den Rock hebt und „Nimm mich, bitte, bitte!“ rufen muss. Der Arme … ging es Heller durch den Kopf.
Zuletzt schmiss Ulla „SK 3000“ an. Nach kurzem Shuffle war der passende Song gefunden: „A Kind of Magic“ von Queen.2 Problemgeister. Rechnung.
Beim dritten Bier hatten Hellers Probleme, entgegen aller Erfahrung, noch kein bisschen von ihrem beklemmenden Horror verloren.
Im Gegenteil. In ihm rumorten die Geister schlimmer als noch vor einer Stunde.
Schwermütig stierte er auf sein halbleeres Glas.
Es gab keine Lösung.
Max Heller steckte bis zum Hals in der Scheiße.
Scheiße Eins: Lena.
Er hatte auf einem Dating-Portal – das tatsächlich kostenfrei, dafür aber voll von nervenden Werbeeinblendungen war – eine Frau kennengelernt.
Nicht irgendeine Frau. Sondern: Helena.
Helena war allerdings nur ihr Nick-Name, wie sie Heller erklärt hatte.
Hellers Nick-Name war MaxE.Er hatte lange darüber gebrütet, wie er sich nennen sollte: Sonnenkönig? Der Misantropos? BarbarOssi? Erschien ihm letztlich alles etwas zu bescheiden angesichts der Mission,
der er sich zu stellen gedachte.Max = DER GRÖSSTE! Das passte. Musste nur noch etwas ausgeschmückt werden.
Also ein E dran und der Nick war perfekt: MaxE.Helenas richtiger Vorname war Helene. Helena passte aber viel besser zu ihr, denn eine solche war sie: Eine Frau, für die Männer Kriege vom Zaun brechen, monogam werden,
ihrem Fußballverein abschwören und aufhören, Bier zu trinken.
Tendenziell jedenfalls …
Sie hatten einander Nachrichten und Mitteilungen und mitunter ganze Sätze geschrieben inclusive einer schüchternen Andeutung von Cyber-Sex – und sich endlich verabredet:
„Ich komme zu Dir!!!“, hatte MaxE ihr, fett hervorgehoben und unterstrichen, versprochen. „Auf jeden Fall!!! Selbst, wenn ich zu Fuß kommen muss!!! Ich komme!!! Ostern bin ich bei Dir!!!“
Nach jedem Satz drei Ausrufezeichen.
Das war kein Geschwätz!!!
Sondern Scheiße Teil Zwei: Heller meinte es wirklich ernst zu meinen.
Es hatte ihn erwischt.
Helena hatte ihn erwischt.
Mitten in die Eier.
Und bei Heller war es keineswegs anders als bei anderen Männern: Von den Eiern her befällt der Infekt – gern auch „Verliebt-Sein“ oder gar „Liebe“ genannt – den ganzen Rest des Körpers seines Opfers.
Besonders schwer trifft es das Herz.
Falls vorhanden.
Natürlich auch sein Hirn, egal, ob vorhanden oder nicht.
Völlig von Sinnen hatte Heller dann irgendwann den Wirt Latte gebeten, nach „Entfernung Berlin-Husum“ – dort wohnt Helena – zu googeln und musste geschockt zur Kenntnis nehmen, dass er zu Fuß drei Tage und elf Stunden brauchen würde, um von der „Grotte“
bis nach Husum zu gelangen. Rasten und Pausen nicht eingerechnet.
Mit dem Auto vier Stunden und dreißig Minuten. Wenn es keinen Stau gäbe und er ein Auto hätte.
Hatte er aber nicht.
Mit der Bahn wäre er in ca. fünf Stunden bei ihr.
Ausgeschlossen.
An einen Flug war nicht zu denken. Obwohl die Luftlinie zwischen Berlin und Husum nur läppische dreihundert und sechzig Kilometer beträgt, gab – und gibt es bis heute – kein direktes, und schon gar kein bezahlbares Angebot.
Eine Fernbusverbindung war ebenfalls überhaupt nicht zu finden.
Vielleicht eine Mitfahrgelegenheit?
Kam auch nicht in Frage.
Außer zu Fuß kam nämlich gar nichts in Frage.
Weil Scheiße Teil Drei hämisch aus Hellers leerer Hosentasche grinste: Er war pleite!
Total pleite …
Eine unüberschaubare Schar von geifernden Geiern verdunkelte seinen finanziellen Himmel. Nichts ging mehr. Er wusste nicht einmal, wie er sein Bier bezahlen sollte an diesem Abend.
An diesem Ostern.
Und der Zettel, den er in der „Grotte“ offen hatte, war länger als das „Alte Testament“.
So war es wohl eine Fügung des Himmels, dass die Wirte Salmonellen hatten.
Ulla und Christel würden sich nicht darum kümmern, alte Schulden einzutreiben und bestimmt die Osterzeche einfach anschreiben: Wenigstens die Bierversorgung ist fürs Erste gesichert!Glaubte Heller …
*
ABER HÖRET, ICH SAGE EUCH: WENN DIE HOFFNUNG ZULETZT STRIRBT,
MUSS DER GLAUBE WOHL ZUERST DRAN GLAUBEN!Nur mal so eine kleine These zwischendurch …
… die sich schon im nächsten Augenblick für Heller als empirische Gewissheit erweisen sollte …
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